Industry Groove – Woche 3

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Hallo liebe Störenfriede der Musikbranche,

Es kommt selten vor, dass sich (vermeintliche?) Gegner mehr oder weniger einig sind. In der Debatte um die Zukunft des Streamings erleben wir gerade einen dieser raren Momente. Sowohl die Streaming-Kritiker*innen (Artists, kleinere Labels), wie auch die Streaming-Profiteure (primär Universal) fordern plötzlich dasselbe – ein neues Streaming-Modell. Auch wenn die Gemeinsamkeiten hier womöglich bereits enden, ist es doch mehr als offensichtlich, dass eine Veränderung kommen muss. Und kommen wird. Wie diese aussehen könnte und welche konkreten Veränderungen möglich wären, zeigt der starke Beitrag von MIDiA, den ich hier gleich an erste Stelle gesetzt habe.


Wie könnte ein neues Streaming-Modell aussehen?

  • Während die Independent-Musik-Community schon länger ein neues Modell verlangen, ist diese Forderung Major-Labels neu. MIDiA begründet dies mit den sinkenden Marktanteilen der Majors aufgrund der Fragmentierung des Musikkonsums (mehr Nischen und lokale Musik) sowie natürlich die unglaubliche Menge an Musik, die erscheint.
  • Gemäß MIDiA finden es nur 15% der Konsument*innen schwierig neue Musik auf den DSPs zu entdecken. Sie wiedersprechen damit also den Argumenten vom Universal CEO, der es vor allem auf die Masse an Songs abgesehen hat.
  • Die Forderung nach einem Artist-Centric-Modell seitens Universal lässt außer acht, dass das Streaming auch die Art verändert hat, wie Musik konsumiert wird. Und dazu gehören heutzutage nun mal auch Chill-Playlists, Walgesänge zum Einschlafen oder sonstige Background-Musik.
  • Bei der Suche nach einem Modell sollte man also nicht den Fehler machen, zu versuchen das Verbraucherverhalten zu verändern, sondern dieses zu berücksichtigen.
  • Was könnte sich also nun konkret verändern? Wie bereits an anderer Stelle geschrieben, müsste es mehr unterschiedliche Abo-Modelle geben und für Artists die Möglichkeit mit exklusivem Content über die DSPs Zusatzeinnahmen zu generieren.
  • Eine sehr spannende Möglichkeit fände ich die Einführung eines Payout Threshholds. Erst wenn ein Song über einen definierten Zeitraum eine bestimmte Anzahl Streams erreicht hat, wird überhaupt etwas ausbezahlt.
  • Ebenfalls diskutiert werden, sollte folgende Option: Es gibt höhere Royalty Rates für aktives Hörverhalten (wenn man einen Song sucht oder über seine Liked-Songs-Liste hört) gegenüber passivem Verhalten (Hören über die Radio-Funktion oder in Mood-Playlisten).

Studie zeigt Ausmaß von Fake Streams

  • Sehr gut zu der Diskussion über ein neues Streaming-Modell passt diese Studie vom Centre National de Musique, bekannt u.a. für ihre Auswertung des User-Centric-Modells.
  • Für die Studie verwendeten sie Daten bereitgestellt von Spotify, Deezer und Qobuz sowie diversen Distributoren (u.a. Universal, Sony, Warner oder Believe).
  • Was kam heraus? Mindestens 1-3% der Streams aus Frankreich sind Fraud Streams. In konkreten Zahlen: zwischen einer und 3 Milliarden Streams.
  • In der Realität sind es wohl viel mehr, denn diese Zahl bezieht sich nur auf die Streams, die von den DSPs auch als Fraud identifiziert wurden. Und wir wissen ja, dass sich der Eifer der DSPs in Grenzen hält…
  • Der monetäre Schaden für den französischen Markt beträgt zwischen 4,92 und 14,76 Millionen Euro.
  • Würde man davon ausgehen, dass es weltweit ebenfalls 3% Fraud Streams sind (es sind wie erwähnt wohl mehr, auch weil Frankreich kaum das Epizentrum des Fake-Streamings ist), sprechen wir von 507 Millionen Dollar.

Neue Releases und Top-10-Hits verlieren kontinuierlich an Marktanteil

  • Der alljährliche Report von Luminate ist da und gibt uns Einblicke in der weltweite Hörverhalten, jedoch mit starkem Fokus auf die USA.
  • Gemäß ihren Berechnungen, sind die On-Demand-Streams weltweit um 25,6% angewachsen auf 5,3 Billionen Streams. Davon sind 3,4 Billionen Audio und 1,9 Billionen Video. In den USA betrug das Wachstum immerhin 12,2% (1,3 Billionen Streams). Das bedeutet konkret, dass jeder vierte Stream weltweit aus den USA kommt, obwohl diese nur rund 4% der Weltbevölkerung ausmachen.
  • Erneut angestiegen ist in den USA der Anteil von Katalog-Releases (alles älter als 18 Monate). 2021 machten diese 69,8%, nun ist es auf 72,2% angewachsen. Vor fünf Jahren lag der Wert erst bei 54,9%. Aktuelle Musik wuchs 2022 nur um 0,5%, Katalog hingegen um satte 12,9%. Es ist ziemlich klar ersichtlich, wohin die Reise führt…
  • Ein weiterer Trend, der anhält, ist der nachlassende Impact von Hits. Die Top 10 der meistgestreamten Songs in den USA brachten es 2022 auf 4,72 Milliarden Streams. In den vorherigen Jahren war dieser Wert stets höher (2021: 5,27 / 2020: 5,97 / 2019: 6,22). Selbst 2017, als noch deutlich weniger gestreamt wurde, lag er bei 4,91 Milliarden.
  • Ihr Marktanteil macht nur noch 0,5% aus, also etwa einer von 200 Streams war einer dieser Top-10-Hits. 2017 war es noch einer von 100 Streams.

TikTok drückt Preise für Onlinewerbung

  • TikTok unterbietet die Preise für Werbeanzeigen und versucht auf diesem Weg Werbekunden von Meta, YouTube oder Twitter wegzulocken.
  • Dies alles geschieht in einem Umfeld von sinkenden Werbeausgaben, wodurch Meta oder YouTube dies noch deutlicher zu spüren bekommen.
  • 1.000 Impressionen bei TikTok seien nur halb so teuer wie bei Instagram Reels und ein Drittel weniger als bei Twitter.
  • Während früher alle wichtigen Werbekunden auf Instagram zu finden waren, sind nun immer mehr (auch) bei TikTok anzutreffen.
  • Doch auch TikTok musste seine Umsatzziele für 2022 bereits nach unten korrigieren. Trotzdem wächst der Umsatz voraussichtlich von 4 Milliarden (2021) auf rund 12 Milliarden (2022).
  • Ebenfalls stark gewachsen ist die Anzahl User und zwar auf unterdessen schon 1,8 Milliarden monatlich aktive User (600 Millionen davon in China). Ende 2021 waren es noch 1,2 Milliarden.
  • Wie MIDiA in einem Beitrag aufzeigt, setzt TikTok nicht nur seine Konkurrenten unter Druck, sondern auch umgekehrt. In ihrem Heimmarkt China wird der Gigant Tencent mit seinem Kurzvideo-Dienst Channels zu einer ernsthaften Konkurrenz. Besonders im Bereich des Livestream-Shoppings könnten sie ByteDance Marktanteile abjagen.
  • Im Westen hat, wie letzte Woche berichtet, vor allem YouTube den Druck erhöht, indem sie die Creator ab Februar nun an den Werbeeinahmen von YouTube Shorts beteiligt. TikTok ist bislang eine Antwort darauf schuldig geblieben und es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass für viele Creator Shorts an Wichtigkeit gewinnen werden.

GVL blickt zurück auf 2022

  • Die GVL verteilte 2022 240.9 Millionen Euro an so viele Berechtigte wie nie zuvor.
  • Konkret waren es 175.000 nationale und internationale Künstler*innen und Hersteller*innen, die Geld von der GVL erhielten.
  • Mit 240,9 Millionen liegen die Ausschüttungen jedoch unter 2020 (292 Millionen) und 2021 (337 Millionen), welches jedoch ein Ausnahmejahr gewesen sei.

Bonus Reads

  • Ted Gioia argumentiert in diesem Beitrag, dass die Musikindustrie (allen voran die Majors) das Vinyl Revival vergeigt hätten. Seiner Meinung nach wäre mit etwas Mut und Weitsicht noch deutlich mehr möglich. Auch wenn er vielleicht etwas gar optimistisch ist, hat er definitiv einen Punkt.
  • Der Herr mit dem schönen Namen Austin Staubus argumentiert in diesem kurzen Artikel, dass die Skip Rate bei Spotify völlig überschätzt werde. Das mag sein, doch was ich hier viel spannender fand: obwohl die Skip Rate als einer der vier wichtigsten Kennzahlen gilt, ist sie für die Künstler*innen und Labels im Spotify for Artists gar nicht ersichtlich. Es sei denn, man ist bei einem der Majors oder einem der ausgesuchten Vertriebe (wie z.B. The Orchard), welche diese Daten per API erhalten.
  • Welche Karrierestufen kann man als Künstler*in eigentlich durchlaufen? Dieser Artikel listet dies meiner Meinung nach sehr gut auf und ist eine gute Orientierungshilfe für Artists.
  • The Weeknd ist auf dem Weg dazu der erste Künstler zu werden, der die Marke von 100 Millionen monatlichen Hörer*innen knackt (gegenwärtig steht er bei 95,71 Millionen). Anders ausgedrückt heißt dies, dass rund jeder fünfte Spotify-User im letzten Monat einen seiner Songs gehört hat.
  • Ich bin sicher, dass ich dieses Jahr noch sehr häufig über das Thema KI schreiben werde. Momentan wohl noch eher eine Spielerei ist diese App, die mittels Prompts Playlisten erstellt. Playlist AI sind hier zwar die ersten, aber wie Music.ally richtig bemerkt, dürften auch die Streamingdienste selbst bereits an solchen Tools arbeiten.
  • Kein Fan von ChatGPT ist ein Musiklegende Nick Cave. Diverse Fans ließen „songs in the style of Nick Cave“ von ChatGPT schreiben und Cave ist überhaupt nicht begeistert vom Resultat.

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