Industry Groove – Woche 27

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Der wichtigste Beitrag dieser Woche kommt vom Musikindustrie-Analysten Mark Mulligan. Seine messerscharfe Analyse sieht die Musikindustrie an einem Wendepunkt und begründet auch klar, warum.

Auch die anderen wichtigen Meldungen dieser Woche fügen sich nahtlos in diese Analyse ein. So versucht SoundCloud ein Problem zu lösen, welches nur noch größer werden wird, nämlich dass viele Songs wenig bis gar nicht gehört werden. TikTok macht mit seinem Tool Ripple genau das, was Mulligan in seiner Analyse hervorhebt, nämlich den Leuten die Möglichkeit geben, so einfach Musik zu erstellen wie ein Foto zu schießen oder ein Video zu drehen. Schließlich gibt es auch Parallelen zum zwar im Grundtenor sehr optimistischen Report von Goldman Sachs, doch auch diese sehen einen Strukturwandel, warnen vor einer Flut von Songs und sehen das aktuelle Streamingmodell als überholt.

Natürlich kann man es sich momentan noch gemütlich machen im bestehenden System, aber viel wichtiger wäre es, sich mit dem zu beschäftigen, was kommt. Denn wie Mulligan zurecht warnt: Nun hat man die Möglichkeit, die Zukunft mitzugestalten, doch dieses Zeitfenster ist klein und schließt sich bald.


Die Musikindustrie steht an einem Wendepunkt: Ein Plan B muss her

  • Es ist eine Binsenwahrheit, dass beim Streaming niemand wirklich glücklich ist. Die Künstler*innen beschweren sich seit jeher und mittlerweile geraten selbst die Superstars ins Stocken, was die Majors zum Umdenken bewegt. Und während Artists und Labels der Meinung sind, sie erhielten zu wenig, machen die Streamingdienste Verluste. Unter dem Strich erhält also niemand das, was er gerne hätte.
  • Laut Mulligan kann ein System, das entwickelt wurde, als Alben, Charts, Downloads und Radio relevant waren, in der heutigen Musikwelt schlicht nicht mehr funktionieren.
  • KI ist daher auch nicht der Auslöser, sondern ein Katalysator bereits bestehender Probleme.
  • Mulligan glaubt auch nicht, dass ein Systemwechsel zu User-Centric oder einem ähnlichen System die Lösung ist. Die wahre Problematik sieht er darin, dass sich der Musikkonsum durch das Streaming von aktiv zu passiv verschoben hat. Man müsse erst den Konsum reparieren und nicht die Auszahlung.
  • Problematisch ist zusätzlich, dass KI-Musik kurzfristig vor allem im passiven Lean-Back-Bereich das größte Potenzial hat. Sprich, das passive Hören dürfte sich eher noch verstärken.
  • Es geht viel mehr um ein einheitliches Soundbild, als um einzelne Songs oder die Künstler*innen selbst. Den Hörer*innen wird immer spezifischere Musik angeboten, die eine KI noch besser produzieren oder maßschneidern kann als menschliche Produzenten.
  • Wenn nun die DSPs die KI-Musik selbst produzieren, können sie nicht nur ihre Margen erhöhen, sondern den Hörer*innen vor allem diese Musik aufzwingen. Denn wer die Algorithmen kontrolliert, kontrolliert auch das Hörverhalten.
  • Die wirkliche Gefahr sieht er in der Kombination von sehr simplen KI-Musik-Tools und Plattformen wie TikTok, Snapchat oder BandLab. Wenn die User so einfach Musik erstellen können wie Fotos oder Videos, wird dies zu Millionen von Songs pro Tag führen. Dies werde das gegenwärtige Modell der Vergütung von Streams endgültig zum Kollabieren bringen.
  • Für Mulligan ist klar: Das Bestehende zu verbessern, reicht nicht. Es braucht einen Plan B, um eine Musikwelt zu schaffen, die sich um Fandom, Identität, Kreativität und Außergewöhnlichkeit dreht, also die menschlichen Elemente der Musik.
  • Seine Analyse beendet Mulligan mit folgendem Satz: “Vor fünf Jahren wäre es noch verrückt gewesen, darüber nachzudenken, wie Maschinen die nahe Zukunft des Musikgeschäfts und der Musik selbst gestalten werden. Stell dir nur vor, worüber wir in fünf Jahren sprechen könnten…”

SoundCloud versucht das Problem zu lösen, dass viele Songs nie gehört werden

  • SoundCloud ist in letzter Zeit immer häufiger der DSP, der versucht, zeitnah Lösungen für aktuelle Probleme zu finden. Und dies ist in der Tat ein Problem: Wie ich bereits berichtet habe, werden 42% aller Songs, die auf Streamingdienste hochgeladen werden, weniger als 10 Mal gestreamt. Sagenhafte 24% oder 38 Millionen Tracks haben nicht einen einzigen Stream.
  • Mit aktuell 120.000 hochgeladenen Songs pro Tag (und bald vielleicht sogar Millionen von Songs täglich) wird dieses Problem sicherlich nicht kleiner.
  • SoundCloud kann natürlich nicht jedem dieser hunderttausenden Songs eine anständige Anzahl Streams garantieren – und seien wir ehrlich, viele davon hätten dies auch gar nicht verdient – aber zumindest sollen alle Songs einen kleinen Anschub erhalten.
  • Dies mit dem neuen Feature “First Fans“. Mittels des Autoplay-Algorithmus soll jeder neu hochgeladene Track ungefähr 100 Usern vorgestellt werden, die passende musikalische Präferenzen haben.
  • SoundCloud weist aber darauf hin, dass dies nicht zwingend 100 Streams bedeutet, da sie nicht beeinflussen können, ob der Song dann auch wirklich gehört wird.
  • Anders als beim Discovery Mode von Spotify werden die dadurch generierten Streams so vergütet wie jeder andere Stream.
  • First Fans wird gegenwärtig mit einer ausgewählten Gruppe von Künstler*innen getestet und sollte sich der Test bewähren, wird das Feature breiter ausgerollt.

TikTok lanciert KI-Musik App Ripple

  • Es ist erst zwei Monate her, seit ich darüber berichtet habe, dass TikTok-Besitzerin ByteDance an einer App zur KI-Musikerstellung arbeitet. Nun ist diese unter dem Namen Ripple bereits erschienen.
  • ByteDance bezeichnet Ripple als eine „music creation, composition and audio editing“ App. Momentan ist sie nur auf Einladung und nur in den USA für iOS verfügbar, aber das wird sich wohl bald ändern.
  • Ripple richtet sich sowohl an Musiker*innen als auch an Social-Media-Creator. Erstere sollen durch durch Ripple Hilfe bei der Musikproduktion erhalten, letztere ein Tool, um die Musik für ihre Videos gleich selbst herzustellen. Dieser Punkt wird in einem Artikel von MBW besonders hervorgehoben. Denn TikTok würde davon profitieren, wenn die Creator ihre eigene Musik erstellen und nicht lizenzierte Musik verwenden, für die TikTok bezahlen muss.
  • Mit der Funktion „Melody to Sing“ erhalten die User die Möglichkeit, eine Melodie zu singen oder zu summen, die dann von der App in instrumentale Songs in verschiedenen Genres umgewandelt wird.
  • Im Allgemeinen kann Ripple derzeit nur instrumentale Musik produzieren.
  • Weiter bietet Ripple ein virtuelles Recording Studio, wo die Audiospuren editiert werden können.
  • Die KI wurde mit Musik trainiert, die ByteDance lizenziert oder besitzt, sowie mit In-House produzierten Songs. Das Unternehmen bestätigt, dass keine kommerziell veröffentlichte Musik verwendet wurde, auch nicht von Artists, die SoundOn als Vertrieb nutzen.
  • Wie Ripple damit umgeht, wenn die Benutzer urheberrechtlich geschützte Melodien in ihre Telefone summen, wird sich erst noch zeigen.

Bald ganze Musikvideos auf Spotify?

  • Videos gibt es bei Spotify bislang erst für Podcasts, 30-Sekündige Storytelling Clips und natürlich Canvas. Gerüchten zufolge möchte Spotify jedoch bald auch ganze Musikvideos auf der Plattform anbieten.
  • Das wäre natürlich eine Kampfansage an YouTube wie auch Apple Music, die schon lange Musikvideos auf der Plattform anbieten. Und wie bei eigentlich allen wichtigen Moves in letzter Zeit, ist es auch ein Versuch, mit TikTok Schritt zu halten.
  • Spotify hat sich bislang nicht zu den Gerüchten geäußert. Somit bleibt vorerst auch unklar, inwiefern die Musiker*innen für die Video-Views entlohnt werden würden.

Die Prognosen von Goldman Sachs für die Musikindustrie

  • Der Report der Investmenthaiebanker Goldman Sachs namens “Music in the Air“ erhält in der Musikbranche immer viel Aufmerksamkeit, nicht zuletzt natürlich, weil man die sehr optimistischen Prognose sehr gerne hört.
  • Im vergangenen Jahr prognostizierten sie Umsätze von 94,9 Milliarden USD für 2023 und 153 Milliarden für 2030. Diese wurden nun leicht nach unten korrigiert auf 92 Milliarden für dieses Jahr und 151,4 Milliarden für 2030. Dies sind die voraussichtlichen Umsätze in den Bereichen Recordings, Publishing sowie der Livemusik-Industrie.
  • Neben den Bruttoeinnahmen schätzt Goldman Sachs auch die Nettoeinnahmen, die bei 65,1 Milliarden für 2023 liegen sollen. Diese verteilen sich auf 28,2 Milliarden für Recorded Music, 8,8 Milliarden für Publishing und 28,1 Milliarden für Livemusik.
  • Die Nettoeinnahmen für 2030 sieht Goldman Sachs bei 104,4 Milliarden, wobei 50,1 Milliarden auf Recorded Music, 14,7 Milliarden auf Publishing und 39,5 Milliarden auf das Livegeschäft entfallen.
  • Die Banker prognostizieren der Musikbranche zudem einen großen Strukturwandel. Wenig überraschend begründen sie dies mit der fehlenden Monetarisierung von Musikinhalten, den veralteten Strukturen der Streamingauszahlungen und – wie könnte es anders sein – künstlicher Intelligenz.
  • Sie halten es für notwendig, dass die Kosten für die Streaming-Abos kontinuierlich steigen. Ebenso bezeichnen sie Pro-Rata als ein Auslaufmodell.
  • Außerdem sagen sie voraus, dass in absehbarer Zeit nicht mehr 120.000, sondern Millionen von Songs jeden Tag auf die DSPs geladen werden, da die Erstellung durch KI so viel einfacher wird (oder schon ist).
  • Natürlich darf man dabei nicht vergessen, dass es sich um die Analyse einer einzelnen Firma handelt und diese durch Investments in Unternehmen wie Universal und Spotify durchaus auch Eigeninteressen hat.

Twitter-Konkurrent Instagram Threads ab sofort live

  • Ich hatte es bereits angekündigt, dass Meta an einem Twitter-Klon arbeitet und dieser kam schneller als erwartet. Genauer gesagt ist die Instagram-Plattform namens Threads bereits verfügbar – zumindest für einige Benutzer.
  • Threads wurde in über 100 Ländern gelauncht, die User in der EU müssen sich jedoch noch ein wenig gedulden. Der Start wurde verschoben, um sicherzustellen, dass Threads den europäischen Datenschutzbestimmungen entspricht.
  • Die Posts können bis zu 500 Zeichen lang sein und es können auch Fotos oder Videos mit einer Länge von bis zu fünf Minuten hochgeladen werden.
  • Zweifellos ist es ein guter Zeitpunkt, um ein Konkurrenzprodukt zu Twitter zu starten, da Twitter kontinuierlich in der Kritik steht und Musk seine Firma immer wieder selbst ins Abseits manövriert.
  • Es gibt natürlich schon einige Konkurrenten, aber es ist klar, dass Meta mit seiner enormen Marktmacht die größte Chance hat, Twitter die User abzujagen. Und es scheint zu funktionieren: In den ersten vier Stunden haben sich bereits 5 Millionen Menschen angemeldet. Wie viele von ihnen bleiben und sogar Twitter verlassen, wird sich freilich erst noch zeigen.

Bonus Reads

  • Wie üblich, wenn plötzlich etwas Neues die Schlagzeilen beherrscht, machen viele Un- und Halbwahrheiten die Runde. Dieser Artikel versucht einige Mythen rund um KI-Musik zu entkräften. Er zeigt dabei insbesondere, dass man als Künstler*in oder Engineer*in nicht heute oder morgen ersetzt werden wird und dass die KI-Tools im Musikbereich noch nicht ganz so weit sind, wie manche denken.
  • Nach Apple Music, Amazon Music, Deezer und anderen DSPs hat nun auch TIDAL bekanntgegeben, den Preis ihres Abonnements in den USA von 9,99 auf 10,99 US-Dollar anzuheben. Die Erhöhung wird ab dem 1. August aktiv und soll auch diverse weitere Märkte betreffen. Was Spotify genau plant, ist weiterhin unklar. Dieser Artikel zeigt außerdem, dass die Preiserhöhungen Apple Music und Amazon Music keine Abonnenten gekostet hat – im Gegenteil sogar.
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