Industry Groove – Woche 18

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Man muss sich nichts vormachen: Künstliche Intelligenz (KI) ist schon seit einiger Zeit in unserem Leben präsent. Sie schlägt uns Musik vor, bestimmt, was in unseren Feeds angezeigt wird, hat womöglich entschieden, ob wir eine Versicherung abschließen können oder einen Job erhalten. Das konnte man, wenn man denn wollte, bestens ausblenden. Den meisten ging es vermutlich so wie mir: Bis Ende des letzten Jahres war die KI zwar präsent, aber eigentlich nur im Hintergrund.

Nun ist es bereits normal, dass ich einen Text von ChatGPT oder der Notion-KI optimieren lasse (schreiben tue ich sie aber doch lieber selbst), KI-Tools für Übersetzungen nutze oder zum Spaß Playlist-Cover mit verschiedenen Tools erstelle. Ebenso würde ich mir gerne die Zeit nehmen, um in den Bereich der KI-Musikproduktion einzutauchen. Ich habe bereits lalal.ai ausprobiert, welches es ermöglicht, ganz einfach die Stems von Songs zu erstellen. Ein oder zwei Mausklicks und schon habe ich das A-Capella, welches ich zuvor vergeblich gesucht habe.

Ich habe gerade mal an der Oberfläche gekratzt und bin mir sicher, dass es da draußen unzählige Tools gibt, die mein Leben erleichtern werden, von denen ich bislang noch nichts weiß. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass es auch zahlreiche Angebote gibt, die ich zumindest als völlig unnötig erachte oder die mir sogar Sorgen bereiten. Denn die Entwicklung geht so rasant voran, dass nicht nur ich, sondern auch die Musikindustrie, Regierungen und Gesetzgeber sich erst einmal sortieren, die Lage analysieren und in Ruhe überlegen müssen, wohin die Reise gehen soll. Diese Zeit wird uns jedoch kaum gewährt werden und so wird es darauf hinauslaufen, dass man nur reagiert, anstatt zu agieren. Dass dies kaum gut kommen kann, weiß die Musikbranche bereits aus bitterer Erfahrung.


KI-Musik: Die rechtliche Lage ist nicht so klar, wie behauptet wird

  • Ich schrieb vergangene Woche, dass in der Musikindustrie eine gewisse Unsicherheit bezüglich KI-Musik und Deepfakes herrscht, da gerade in rechtlicher Hinsicht vieles noch unklar ist. Interessanterweise will uns die Industrie aber weismachen, dass sie mehr oder weniger alles schon unter Kontrolle hat.
  • Universal Music ist zum Beispiel felsenfest davon überzeugt, dass die Rechte von ihnen und ihren Künstler*innen verletzt werden und die Gesetze dies auch bereits so festhalten. Dies gilt laut Universal sowohl für das Trainieren von KI mit urheberrechtlich geschützter Musik als auch für Deepfakes wie Fake Drake.
  • Derweil ist der Vertrieb Believe, zu dem auch TuneCore gehört, überzeugt, dass sie bereits jetzt Musik, die zu 100% von KI produziert wurde, erkennen und blockieren können. Es stellen sich jedoch einige Fragen: Erstens, soll wirklich alle komplett mit KI hergestellte Musik von den DSP ferngehalten werden, auch wenn sie keine Urheberrechte verletzt? Zweitens, wie viel Musik ist heute bereits zu 100% mit KI generiert? „Heart on my Sleeve“ und viele weitere der momentan bekanntesten Deepfakes sind es zum Beispiel nicht. Drittens steht es natürlich in den Sternen, ob das Tool wirklich so reibungslos funktioniert und wenn ja, wie lange es noch möglich ist, KI-Musik so klar zu erkennen.
  • Dass die rechtliche Lage eben doch noch nicht so klar ist, wie von Universal Music dargestellt, zeigt dieser informative Beitrag auf The Verge. There’s no precedent for whether real Drake can stop robot Drake on the basis of copyright.
  • Laut dem Artikel sind beispielsweise die Stimme eines Künstlers oder dessen Flow nicht durch das Urheberrecht geschützt. Falls überhaupt, handelt es sich eher um eine Verletzung des Markenrechts. Je nach Fall können auch Persönlichkeitsrechte betroffen sein, insbesondere wenn einem Künstler ein Nazi-Text in den Mund gelegt wird.
  • Ich bin kein Anwalt und will auch nicht so tun, als würde ich alles durchblicken. Was aber klar und deutlich erkennbar ist: So eindeutig, wie Universal die Lage darstellt, ist sie nicht.

Resso beerdigt Free-Tier – werden weitere folgen?

  • Resso, der Streamingdienst von TikToks Muttergesellschaft ByteDance, hat die Nutzer*innen seines Gratis-Angebots informiert, dass dieses ab dem 11. Mai eingestellt wird. Resso, bislang nur in Indien, Brasilien und Indonesien verfügbar, wird zukünftig also ausschließlich eine Premium-Subscription anbieten.
  • Einige Kommentator*innen deuten dies als ein Zugeständnis an die Major Labels, mit denen ByteDance intensiv verhandelt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Resso (womöglich auch unter dem Namen TikTok Music) in weitere Märkte expandieren möchte. Die Rechteinhaber, sprich die Labels, scheinen jedoch eher auf die Bremse zu drücken und einer der Gründe dafür ist die schlechte Konversionsrate von Free auf Premium.
  • Dies ist zwar nicht der einzige Streitpunkt zwischen ByteDance und der Musikindustrie, aber zumindest ist es nun ein Stolperstein weniger, der der Expansion im Wege stehen könnte.
  • In einem Meinungsbeitrag schreibt David Turner, dass das werbebasierte Streaming generell kaputt sei.
  • Schon vor Resso hatte der indische Streamingriese Gaana sein kostenloses Angebot eingestellt. Auch Deezer hat in einigen Märkten sein Free-Tier beendet, was zu einem Anstieg des Umsatzes pro Benutzer geführt hat.
  • Turner analysiert die Zahlen von Spotify, Pandora und Tencent Music und zeigt anhand dieser, warum man das gegenwärtige Modell überdenken sollte.

Social Media Plattformen gewinnen User aber verlieren Werbeeinnahmen

  • Verschiedene Social-Media-Plattformen haben ihre Zahlen für das erste Quartal veröffentlicht und bei allen zeigt sich ein ähnliches Bild: Während die Nutzerzahlen steigen, stagnieren oder sinken die Werbeeinnahmen.
  • Bereits das dritte Quartal in Folge verzeichnet YouTube einen Rückgang der Werbeeinnahmen. Sie fielen um 2,5 % auf 6,69 Milliarden Dollar. Die Einnahmen in der Kategorie „Google Other“, zu der YouTube TV, YouTube Music und YouTube Premium gehören, stiegen dagegen um stolze 9 % im Jahresvergleich und brachten 7,41 Milliarden Dollar ein.
  • Derweil hat Meta die Marke von 3 Milliarden Usern auf all seinen Services – Facebook, Instagram, WhatsApp und Messenger – geknackt. Das entspricht einem Anstieg von 5% im Vergleich zum Vorjahr. Die Umsätze wuchsen ebenfalls, jedoch deutlich gemächlicher als zuvor, nämlich um 3% auf 28,65 Milliarden Dollar im ersten Quartal 2023.
  • Snapchat konnte die Anzahl täglich aktiver User im Jahresvergleich um 15% steigern, auf 383 Millionen. Nicht ganz ein Prozent davon, etwas mehr als 3 Millionen, bezahlen für Snapchat+. Die Umsätze fielen im Jahresvergleich um 7%.

Bonus Reads

  • MBW schaut sehr genau hin, welche Jobs TikToks Besitzerin ByteDance ausschreibt und hat dabei herausgefunden, dass diese offenbar eine App zur KI-Musikerstellung planen. In der Stellenausschreibung ist von „einem KI-gesteuerten Tool, das intelligente Musikproduktion und Audio-Bearbeitungsfähigkeiten bietet“ die Rede. Weiter heißt es, dass die Vision darin besteht, „die Hürden für die Musikproduktion signifikant zu senken und musikalische Kreativität und Ausdruck zu inspirieren, um den Musikinhalt weiter zu bereichern“. Ich bleibe an dem Thema dran.
  • Letzte Woche berichtete ich, dass Grimes sich offen zeigt für die Nutzung ihrer Stimme für Deepfakes. Diese Woche hat sie nun bereits die Plattform dazu lanciert.
  • Auch die dezentralisierte Streamingplattform Audius zeigt sich offen für neue Wege. Künstler*innen, die Audius nutzen, können nun selbst entscheiden, ob Releases auf ihrem Profil erscheinen sollen, die mit ihrer Musik trainiert wurden. Diese erscheinen dann in einem „Generated with AI“ Bereich auf dem Profil. Audius macht hier als einen ersten Schritt, den andere DSPs erst noch gehen müssen.
  • Egal wie eindrücklich und irgendwie auch beängstigend gut die aktuellen KI-Songs auch sind, Bill Werde will auf keinen Fall, dass man dies zu einem Napster-Moment hochstilisiert. Er sieht viel eher Parallelen zum Grey-Album des großartigen Danger Mouse und der Remix-Kultur.
  • Obwohl sie große Töne spuckten, muss Triller nun tief in die Tasche greifen. Der US-Konzern muss 4,5 Millionen an Sony Music überweisen für nicht geleistete Zahlungen. Generell steht Triller auf Kriegsfuß mit der Musikindustrie. Mit Universal stehen sie ebenfalls vor Gericht und die von Merlin angelieferte Musik (somit auch die der iGroove-Künstler*innen) haben sie Ende letzten Jahres von ihrer Plattform entfernt. Triller versucht sich zwar als patriotische Alternative zu TikTok darzustellen, aber sie vergeigen es derweil mit den Musik-Rechteinhabern, die extrem wichtig für eine Kurzvideo-Plattform sind.
  • Ich habe bereits mehrfach darüber geschrieben, dass Spotify vor über zwei Jahren ein HiFi-Angebot angekündigt hat, das bis heute jedoch nicht gestartet wurde. Dieser Artikel fasst das ganze Debakel detailliert zusammen und geht der Frage nach, wer Spotify-HiFi letztendlich effektiv gekillt hat.
  • Chartmetric hat auf gewohnt zahlenbasierte Weise analysiert, welchen Einfluss ein Auftritt beim Coachella Festival auf die Streamingzahlen und die sozialen Medien hat.

Deepfakes der Woche

  • Ghostwriter, ob derselbe wie bei Drake und The Weeknd ist umstritten, hat Bad Bunny und Rihanna für den Song „Por Qué“ zusammengebracht und damit TikTok im Sturm erobert.
  • Deepfakes taugen natürlich nicht nur dazu, Songs von aktuellen Stars zu erzeugen, sondern können auch verstorbene Künstler*innen auferstehen oder Reunions Wirklichkeit werden lassen. Wie etwa, wenn Paul McCartney und John Lennon plötzlich wieder auf einem Song zu hören sind.
  • Kaum ein aktuelles KI-Projekt erhielt so viel positive Resonanz wie das AISIS-Album – eigentlich ein Album der unbekannten Band Breezer, welche diese dann mit den KI-Vocals von Liam Gallagher ins Netz stellten. Die Oasis-Fans feiern es und selbst Liam scheint nichts dagegen zu haben.
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