Industry Groove – Woche 23

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Die beiden bislang dominierenden Themen in diesem Jahr – die Entwicklung eines neuen Streaming-Modells und der Einfluss von KI auf die Musikindustrie – scheinen auf den ersten Blick zwei völlig unterschiedliche Baustellen zu sein. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch schnell, dass es viel mehr Zusammenhänge zwischen den beiden Themen gibt, als man vermuten würde. Der Auslöser für die Suche nach einem neuen Streaming-Modell ist die unglaubliche Anzahl von Releases, welche die DSP fluten (und der damit verbundene sinkende Marktanteil der Majors). Da die Produktion neuer Musik durch KI-Tools nun noch einfacher wird, ist es keine Prophetie, wenn man voraussagt, dass die Anzahl neuer Songs nur noch drastischer ansteigen wird. Daher verlangt Universal CEO Lucian Grainge auch ein Artist-Centric-Modell, wobei mit „Artist“ natürlich nur menschliche Kreative gemeint sind und Maschinen explizit ausgeschlossen sind.

Wie eng die beiden Themen zusammenhängen, zeigen die neuesten Ankündigungen von Deezer. Diese offenbaren aber auch diverse Problematiken und verdeutlichen, dass es vorerst keine einfachen Lösungen gibt, auch wenn einige diese vielleicht proklamieren.


Deezer will KI-generierte Inhalte markieren und ein neues Vergütungsmodell entwickeln

  • Diese Woche hat der französische Streamingdienst Deezer bekannt gegeben, dass er an Tools zur Erkennung von mit KI-generierten Inhalten arbeitet und zudem ein System aufbaut, um diese Songs zu kennzeichnen. Die Nutzer sollen von Anfang an wissen, was „echte“ und was KI-generierte Musik ist.
  • Zu Beginn soll der Fokus vor allem auf der Erkennung von Tracks liegen, welche die Stimmen bekannter Acts nutzen, also wie jüngst etwa „heart on my sleeve“.
  • Solche Songs zu erkennen und zu markieren (oder je nach Rechtslage auch zu sperren), ist sicherlich sinnvoll. Bei anderen Tracks, die gänzlich oder unter Mithilfe von KI-Tools entstanden sind, kann man jedoch durchaus diskutieren, ob eine solche Markierung wirklich benötigt wird. Für einige ist es sicherlich spannend zu erfahren, ob der House-Track oder der Lofi-Tune mit oder ohne KI-Unterstützung entstanden sind. Doch interessiert dies die Konsument*innen tatsächlich?
  • Deezer macht damit natürlich nicht zuletzt den Majors schöne Augen. Das Unternehmen arbeitet zudem, wie auch Tidal, bereits eng mit Universal Music zusammen bei der Suche nach einem neuen Streaming-Modell.
  • Das langfristige Ziel von Deezer ist es, ein Vergütungsmodell zu erschaffen, das zwischen verschiedenen Arten des Musikschaffens unterscheidet.
  • Auch das wirft viele Fragen auf. Gilt dies nur für Songs, die komplett mit KI erschaffen wurden? Und wenn ja, kann das System dies erkennen? Wie viel menschliches Zutun wird nötig sein, um die höchstmögliche Auszahlung zu erhalten und wie genau soll dies gemessen werden? Soll ein Künstler wirklich weniger ausbezahlt bekommen, nur weil er sich z.B. die Drums von der KI hat programmieren lassen? Es stehen zweifellos noch viele Diskussionen bevor!

TIDAL lanciert Artist Home

  • Ein Dashboard für Musiker*innen, auf dem sie mehr über die Performance ihrer Veröffentlichungen und ihr Publikum erfahren sowie ihr Profil bearbeiten können, ist heute Standard und wird u.a. von Spotify, Apple Music, Amazon Music, Deezer oder SoundCloud angeboten. Nun hat auch TIDAL nachgezogen mit dem Artist Home.
  • Dieses bietet den Artists die üblichen Funktionen: Sie können ihr Profilbild anpassen, eine Biografie und Social-Media-Links hinzufügen, andere Teammitglieder einladen oder falsche Releases auf ihrem Profil melden. Weitere Features wie Fan-Insights sollen folgen.
  • In einem Interview mit MBW erklärt der CEO von TIDAL, Jesse Dorogusker, dass sich sein Unternehmen im Künstler-Ökosystem positionieren werde und das Streaming nur ein Teil davon sei: „Wir werden also eine Plattform für Künstler mit Musik-Streaming-Assets sein.“
  • Er bezeichnet Musik als unterbewertet und unterpreist, was vielleicht überrascht aus dem Mund des CEOs eines Streaminganbieters. Schlussendlich ist es aber nur konsequent, schließlich sucht TIDAL ja gemeinsam mit Universal nach einem neuen Streaming-Modell.

Bonus Reads

  • Ein Artikel, der zum Nachdenken anregt: Wird KI die menschliche Kreativität auslöschen? Die momentan kursierenden Deepfakes machen bereits deutlich, dass KI nicht nur die Bullshit-Jobs bedroht. Der Autor wirft die Frage auf, was geschieht, wenn das Publikum den Fake Drake plötzlich besser mag als den echten. Braucht das Label dann den Real Drake überhaupt noch? Im Artikel wird argumentiert, dass die Aussicht, von Maschinen ersetzt zu werden, sich auf die Motivation und somit auch auf den kreativen Output auswirken könnte.
  • In eine ganz andere Richtung argumentiert dieser Artikel. Zum einen erinnert er die Künstler*innen daran, dass sie mehr Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben sollten, mit denen sie sich von der KI-Musik abheben können. Zudem ermahnt er uns, die Konsument*innen nicht zu unterschätzen (was die Musikbranche nur zu gerne tut). Diese können nämlich durchaus zwischen einem menschgemachten Song voller Emotionen und seelenloser KI-Musik unterscheiden und hören nicht einfach das, was ihnen vorgesetzt wird. Der Autor weist aber auch auf zwei falsche Grundannahmen hin. Erstens, dass alle KI-Musik per Definition schlecht und unrecht ist und zweitens, dass alle menschgemachte Mucke gut und wertvoll ist. Denn seien wir ehrlich, die Mehrheit der von Menschen geschaffenen Musik ist im besten Fall mittelmäßig und dient einzig dazu, die wirklich guten Songs noch besser klingen zu lassen.
  • Spotify streicht 200 weitere Stellen. Betroffen ist die Abteilung, die zuletzt wohl am stärksten gewachsen ist: Podcasts. Die Podcast-Abteilung wird umstrukturiert, wobei unter anderem zwei Podcasts-Studios zusammengelegt werden. Bereits zu Beginn des Jahres entließ Spotify rund 500 Mitarbeiter*innen. Gleichzeitig verkündete Spotify, sie hätten nun über 100 Millionen Podcast-Hörer*innen.
  • MBW hatte die Möglichkeit, einige kritische Fragen an Ole Obermann, den Global Head of Music Business Development bei TikTok, zu stellen. Dabei ging es unter anderem darum, wie TikTok mit Sync-Fees viel Geld für die Musikindustrie generieren will, wie sein Standpunkt zu den Auszahlungen an die Labels ist und wie er zu einem Wechsel von fixen Beträgen zu Revenue-Sharing steht. Weiter geht es um die Pläne von Resso (oder TikTok Music) und SoundOn. Für die Labels, mit denen TikTok verhandelt, gab es auch noch eine ziemlich deutliche Ansage: „Wenn wir gezwungen wären, einen Katalog oder Teile eines Katalogs zu entfernen, sind wir ziemlich sicher, dass wir dennoch ein überzeugender Service für unsere Nutzer wären.“
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